Rücktrittsrede von SPD-Stadträtin Margrit Nissen vom 11.10 2007

Verehrter Herr Oberbürgermeister,
verehrte Bürgermeister,
sehr geehrte Mitglieder der Verwaltung,
liebe Kollegen, liebe Zuhörer,

Es freut mich, dass ich die Gelegenheit habe, noch ein paar Sätze zu meinem Rücktritt zu sagen.

Wie Sie wissen, hat für mich der Entscheidungsprozess, der dem Beschluss für einen Theaterneubau vorausging, den Anstoß gegeben, meine Mitarbeit im GR zu überdenken.

Ich hatte und habe den Eindruck, dass manche Dinge allmählich aus dem Ruder laufen.

Bei meiner Mitarbeit hier in dem Gremium bin ich immer von bestimmten persönlichen Grundvorstellungen ausgegangen, von denen ich nicht abrücken möchte, die ich aber zunehmend in Frage gestellt sehe. Lassen Sie mich drei davon nennen.

1. Ein städtisches Gemeinwesen lässt sich nach meiner Meinung am besten mit einem lebendigen Organismus vergleichen. In diesem Sinne besteht unsere Arbeit darin, diesen Organismus in  a l l e n  seinen Teilen lebendig und zukunftsfähig zu erhalten und unsere Entscheidungen sind wie die Verabreichung von vorbeugenden, heilenden oder nachsorgenden Medikamenten zum Wohle des Patienten. So wie wir von dem behandelnden Arzt erwarten, sehr sorgfältig die Wirkungen und Wechselwirkungen der Medikamente zu bedenken, so haben wir die Pflicht, uns  v o r  wichtigen Entscheidungen in gründlicher Diskussion eine möglichst genaue Vorstellung von Risiken und Nebenwirkungen zu machen. Nur wenn die Probleme von der Verwaltung sorgfältig und objektiv analysiert werden, und im Gemeinderat Vor- und Nachteile verantwortungsbewusst abgewogen werden, lassen sich befriedigende Lösungen finden, die dem Ganzen zugute kommen. Dabei ist der Entscheidungsdruck, unter den der Gemeinderat zunehmend gerät, nur schädlich. Es kann nicht sein, dass die Aufforderung: Entscheidet! Egal wie, nur entscheidet!... uns verleitet, nicht mehr mit der notwendigen Sorgfalt vorzugehen.

2. Wenn wir so weitreichende Entscheidungen treffen, wie sie jetzt in großer Zahl anstehen, müssen wir uns um eine Verteilungsgerechtigkeit bemühen, die von den Bürgern nachvollzogen werden kann. Um im Vergleich zu bleiben: Wir können nicht um jeden Preis  e i n  Organ heilen wollen, ohne das Funktionieren der anderen Organe sicher zu stellen. Das Theater muss saniert werden, ohne Zweifel, aber eine Reihe von Schulen haben es ebenso bitter nötig. Oder: die Bahnstadt soll ein Stadtteil mit hoher Lebensqualität werden, die Altstadt soll es bleiben, usw. Die Liste wäre um manch andere, wünschenswerte Projekte zu erweitern. Aber wir verfügen leider nicht über ausreichende Mengen des Allheilmittels, über genügend Geld. Schon deshalb hätten wir längst dringend Prioritäten setzen müssen. Alle Projekte gleichzeitig auf die Schiene zu setzen, weckt falsche Erwartungen und kann das Vertrauen in politische Entscheidungen nur weiter schwächen.

3. Ich komme zu meinem letzten Punkt, der die Stellung des Gemeinderats betrifft. Man kann in letzter Zeit vielfältige Versuche beobachten, die Rechte des Gremiums zu beschränken unter dem Hinweis, es schlagkräftiger zu machen. Schlagkräftiger für wen? – Z. B. Personalfindungskommissionen werden nicht berufen, die Zahl gemeinderätlicher Preisrichter bei städtischen Wettbewerben soll beschränkt werden. Es wird überlegt, die Zahl der Ausschüsse und die Zahl ihrer Mitglieder zu senken, Redezeitbegrenzungen einzuführen, die Länge der Sitzungen zu verkürzen. Zu dichte Sitzungsfolgen durch Einschieben von Sondersitzungen, spät eintreffende Vorlagen erschweren die Mitarbeit unnötig. Wichtige Vorentscheidungen werden zunehmend allein im HAFA getroffen oder Hierarchien innerhalb der Fraktionen werden genutzt, um möglichst verbindliche Vorabsprachen zu treffen – oder bestimmte Vorentscheidungen entstehen offenbar in noch ganz anderen Kreisen. Es bilden sich so etwas wie "innere Zirkel" heraus, wer nicht daran beteiligt ist, sieht sich zunehmend auf die Rolle des Kopfnickers verwiesen.

Manche Veränderung mag durchaus sinnvoll sein, in ihrer Gesamtheit geben sie aber Anlass zur Beunruhigung. Ich nehme §32/3 Der GemO sehr ernst: "Die GR entscheiden im Rahmen der Gesetze nach ihrer freien, nur durch das öffentliche Wohl bestimmten Überzeugung. An Verpflichtungen und Aufträge, durch die diese Freiheit beschränkt wird, sind sie nicht gebunden."

So wie sich die Bedingungen derzeit entwickeln, habe ich die Motivation verloren, mein Ehrenamt weiterhin auszuüben. Die Entscheidung, mein Mandat zurückzugeben, hat mich, um im Vergleich zu bleiben, viel Herzblut gekostet. Ich hoffe, liebe Kollegen, dass Sie sie verstehen und vielleicht über den einen oder anderen Punkt ins Nachdenken geraten.