Kulturpolitik: Heidelbergs Theater verabschiedet sich von Joachim Schlömers Tanzkollektiv "pvc"

 Vergebene Chance oder gar ein Reinfall

(Monika Lanzendörfer, Mannheimer Morgen, 30.07.2011)

Jeder Abschied zieht einen Neubeginn nach sich. Das ist gesund für die Theaterbetriebe. Den radikalsten Wechsel erlebt Heidelberg in der kommenden Saison: Intendant Peter Spuhler zieht nach Karlsruhe. Gleichzeitig macht endlich eine Notlösung die Büne frei, das Tanzkollektiv "physical virus colletive" (pvc). Seine Entstehung und Austrocknung sollte als Warnung an verwaltende Sparfüchse dienen, die gutes Theater für einen Apfel und ein Ei kaufen wollen.

Die Kunstsparte Tanz hat nach der Fusion der Heidelberger und Freiburger Tanzensembles vor sieben Jahren schwer gelitten. Heute sind alle klüger. Und jeder kann sagen: Das musste ja ein Reinfall werden. Aber das stimmt nicht ganz. Denn es eröffnete sich damals die Möglichkeit, ein baden-württembergisches Pilotprojekt kreativ anzupacken und auseinander strebende künstlerische Kräfte wirksam zu bündeln. Aber diese Chance wurde vergeben.

Den Grundstein der Reisetruppe legten Kommunalpolitiker mit gezückten Rotstiften. Sie kürzten den Etat des damaligen Intendanten Günther Beelitz drastisch. Da er die Sparte Tanz nicht schließen wollte, stimmte er widerstrebend einer Kooperation zu. Im Nachhinein wurden selbstkritische Kommentare aus dem Heidelberger Stadtrat laut. Annette Trabold zum Beispiel mahnte im Juli 2005: "Die Aufgabe des Standortes des Heidelberger Tanztheaters und die Verlagerung nach Freiburg waren und bleiben kulturpolitisch ein großer Fehler, der uns in Zukunft bestimmt noch große Sorgen machen wird."

Skeptischer Gastgeber Spuhler

Beelitz verlängerte seinen Vertrag nicht mehr. Der Nachfolger Peter Spuhler konnte seine Hände in Unschuld waschen und begnügte sich mit der Rolle eines skeptischen Gastgebers, denn die neue Compagnie aus zehn Tänzern wohnte ja nun 200 Kilometer entfernt und fühlte sich zunehmend fremd am Neckar. Es geschah herzlich wenig, um die Entfremdung aufzuhalten. Die künstlerischen Leiter von "pvc" versprachen neue Impulse für den zeitgenössischen Tanz, doch Ideengeber und Regisseur Joachim Schlömer, der den Titel Kurator trug, hob sich seine gut bezahlten Inspirationen für Mannheim, Stuttgart und die Salzburger Festspiele auf.

Das am Hungertuch nagende Heidelberg wurde mit experimenteller Tanzzertrümmerung abgespeist. Selbst Choreograf und Tänzer Graham Smith griff in einem Gespräch mit dem Publikum unverhohlen zu dem niederschmetternden Urteil "Müll". Immerhin: "physical virus colletive" verschaffte sich dank des ausgezeichneten Jugendprojekts "Romeo und Julia" von Gary Joplin einen denkwürdigen Abgang.

Spuhlers Nachfolger Holger Schultze holt die Tanzsparte nun wieder zurück: Die neugierigen Blicke richten sich auf die niederländische Choreographin Nanine Linning, deren bizarres "Requiem" Osnabrück ein ausverkauftes Theater bescherte. Ausschnitte daraus sind im Internet (www.naninelinning.nl) zu sehen. Am 22. Oktober kommt diese Produktion ins Opernzelt. Am 18. Februar 2012 gibt es ein Wiedersehen mit Johann Kresnik, der ja in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg unvergessen ist.